Menschen wachsen nicht eindeutig männlich oder weiblich auf.

Ich bin ein nichtbinäres Nerd, das als kleiner Junge Fußball gespielt hat – ich habe trotzdem mehr mit Nerds allen Geschlechts gemeinsam als mit einem männlichen Sportler. (Siehe auch „don’t assume my socialization“)

Trotzdem neige ich zu Scheiß Verhalten, das ganz klar daher kommt, dass ich mein Leben lang mit einem Jungen verwechselt wurde. Und dass ich versucht habe, bei den anderen mitzuhalten.

  • Entweder mir mangelt es an Selbstvertrauen, oder ich habe zu viel davon. Ich habe gelernt, dass Angeberei & sich in den Mittelpunkt zu drängen nötig sind, um sich unter Freundis zu beweisen.
  • Bevor ich anfange zu sprechen, frage ich mich selten, ob es wirklich wichtig ist, dass ich das jetzt auch noch mal sage.
  • Ich verdränge Gefühle, statt sie mit Freundis aufzuarbeiten. Wenn ich deswegen unterschwellig aggressiv oder genervt bin, kriegen andere das ab.
  • Ich vermeide oft anstehende Gespräche über Beziehungen, obwohl sie notwendig sind.
  • Die größte Zeit meines Lebens war es normal, sich über sexuellen Erfolg definieren. Aber Sex ist kein Wettbewerb, und macht mit Erfolgsdruck im Kopf allen Beteiligten weniger Spaß.
  • Lange hat mir niemand die Frage gestellt, ob ich Sex wirklich will oder nicht. Lange hatte ich kein Gefühl für meine eigenen Grenzen. Geschweige denn für die Grenzen anderer Leute.

Das ist eine unvollständige Liste, das sind nur die Sachen, an denen ich am meisten zu knabbern habe. Wenn du ähnliche Sachen bei dir beobachtest, empfehle ich das Zine „Dismantling the Boys Club“

Aber nicht nur männliche Sozialisierung bringt einem Scheiß Verhaltensweisen bei. Ich habe zum Beispiel auch ganz viel komischen Kram gelernt:

  1. So zurückhaltend zu sein, dass ich mich für meine Rechte nicht einsetze
  2. So viel Empathie zu zeigen, dass ich nicht auf meine eigenen Bedürfnisse achte
  3. Übermäßig viel Wert aufs Aussehen zu legen

Im Patriarchat wird die männliche Herrschaft dadurch aufrecht erhalten, dass diese und andere Verhaltensweisen belohnt werden. Sie trampeln auf den Gefühlen und der Autonomie anderer herum. Oft sind sie nur Männern zugänglich. Der liberale Feminismus hat in den letzten Jahrzehnten Zugang zu diesen Verhaltensweisen und Machtpositionen auch für Frauen erkämpft, sodass heute Angela Merkel an der Spitze eines patriarchalen Staates steht. Doch welchen Platz haben Enbies in diesem ständigen Machtkampf?

Als nichtbinärer Mensch habe ich meinen ganz eigenen Trouble mit diesen Verhaltensweisen. Einerseits tut es weh, wegen meinem Verhalten für einen Mann gehalten zu werden. Andererseits kann es Vorteile haben, mit einem Mann verwechselt zu werden. Zum Beispiel weil mir eher zugehört wird, ich mehr Gehalt und berufliche Anerkennung bekomme, ich je nach Kleidung weniger Angst vor Fremden haben muss, oder mir Leute mehr durchgehen lassen. Ich habe diese Verhaltensweisen gelernt, um im Patriarchat zu überleben – es ist nicht immer einfach, niemand anderem dadurch zu schaden.

Es gibt auch Vorteile an weiblicher Sozialisation und Passing. Ich darf fast alle Kleidungen tragen, die existieren und werde nicht direkt verdächtigt, pädophil zu sein, wenn ich mit Kindern arbeiten will. Ich darf weinen. Weil ich meine Gefühle nicht so doll unterdrücken muss, gibt es weniger Chancen, dass ich Selbstmord begehe. In westlichen Ländern zumindest erlebe ich viel weniger Polizeigewalt als meine männlich gelesenen Mitaktivistis. In der linke Szene werde ich nicht direkt als Macker beschimpft, wenn ich zu viel rede oder dominantes Verhalten habe. Überall werde ich sehr selten als Täter gesehen, auch wenn ich Grenzen überschreite.

Nicht nur die bei der Geburt zugewiesene Sozialisierung ist problematisch: es gibt auch Verhalten, die wir lernen um uns von der Sozialisierung zu abgrenzen, die genauso problematisch sind. (z.B. sich overly dominant zu verhalten, um nicht als weiblich wahrgenommen zu werden)

Warum tragen viele AFAB Enbies kurze haare und männliche(TM) Kleidung, während AMAB Enbies öfters lange Haare und bunte Kleidung tragen? Wir müssen uns so doll von unseren zugewiesenen Gender abgrenzen dass wir alles davon ablehnen. Ist das so viel gesünder? Wir sollten von beiden Seiten nehmen, was wir wollen, was uns Spaß macht, nicht nur abhängig davon, wie wir rüberkommen.

AFAB= Asigned female at birth
AMAB = Assigned male at birth
ACAB = Always remember that the first pride was a riot led by poor trans women of color

z.B. gibt es weiblich zugeordnete Kleidungen, die ich sehr gerne tragen würde, und ich mag auch Make-Up, aber nur in sehr engen Kreisen würde ich mich als AFAB enby trauen, sie zu benutzen. Und lernen, meine Gefühle nicht mehr zu verdrängen wäre auch cool.

Ja, oder Jogginghosen! Die sind einfach so bequem. Aber ich fange darin immer automatisch an, in so dem Macker-Gang-Slang aus meinem Viertel damals zu reden, als wir alle Aggro Berlin gehört haben und versucht haben, die coolsten zu sein… und dann muss ich schon von sehr coolen Leuten umgeben sein, damit die mich dann nicht in die falsche Schublade einsortieren.

Wir sollten uns bewusst machen, welche Erwartungen das Patriarchat an uns hat, und wie uns das manchmal im Weg steht. Nur dann können wir da ausbrechen, unser Verhalten ändern, und so sein wie wir werden wollen.