Zur ANTI*-Shower-Hour-Aktion auf dem anarchy23.org in St. Imier
In linksradikalen Räumen hat sich der Begriff FLINTA durchgesetzt, als Überbegriff für Menschen, die vom Patriarchat benachteiligt werden. FLINTA-Räume sollen als Schutzräume vor endo-cis Männern dienen. Ist damit das Patriarchat jetzt endlich abgeschafft? Oder ist es doch noch etwas komplexer?
Bei dem International Anarchist Gathering 2023 in St. Imier, einem Kongress/Camp von mehreren tausend Anarchist*innen, gab es nur Gemeinschaftsduschen. Die Hälfte der Zeit waren diese offen für alle Geschlechter, jede zweite Stunde durften dann nur FLINTA-Personen duschen. Ein perfekter Schutzraum vor dem Patriarchat war das nicht, aber für viele sicher ein Anfang.
Für einige von uns war allerdings auch die FLINTA-Dusche keine Lösung. Denn insbesondere trans-Personen haben beim Duschen teilweise mehr Bedürfnisse, als sich vor endo-cis Männern schützen zu müssen. Trans sein heißt für viele von uns, dass wir uns mit unseren Körpern unwohl fühlen; und das auf eine Weise, die die meisten cis-Frauen genausowenig nachvollziehen können wie cis-Männer.
Ich hatte beispielsweise schon oft das Gefühl, mich in FLINTA-Räumen rechtfertigen zu müssen, dass ich hier auch wirklich hingehöre – Bartwuchs ist das eine, aber völlig nackt werde ich schon schnell mit einem endo-cis Mann verwechselt. Man sieht Menschen ihr Geschlecht eben nicht an. Und in FLINTA-Schutzräumen kann das schnell mal Fragen aufwerfen.
Aber auch für ANTI*/TINA*-Personen (agender, nichtbinär, trans, inter, und Leute sich da gerade unsicher sind) mit anderer Anatomie als ich ist es eben nicht einfach, sich auf eine FLINTA-Dusche einzulassen. Nach kurzer Zeit sprach es sich unter einigen ANTI-Personen herum, dass einige Leute sich nicht trauten zu duschen. Irgendwann hatten ein paar von uns die Schnauze voll und beschlossen, uns eine kollektive Lösung für dieses Problem zu erkämpfen.
Also besetzten wir für eine Stunde die Gemeinschaftsdusche. Ein paar solidarische Menschen (manche cis, manche trans) setzten sich mit einem Schild vor die Dusche, und wir anderen traten vorsichtig ein, noch unsicher ob dieser Raum jetzt wirklich frei für uns war. Doch schnell fiel die Anspannung von uns ab. Und während wir uns endlich den Dreck der letzten Tage vom Körper schrubben konnten, wurde uns auch das Gefühl aus der Seele gespült, dass unsere Belange nicht zählten. Ein Gefühl, an das wir uns beinahe gewöhnt hatten.
Im Lauf der Stunde sprach sich das herum, und schnell waren wir nicht mehr die einzigen ANTI-Personen die die neue Dusche nutzten. Einige hatten sich auch schon damit abgefunden zur FLINTA-Dusche gehen zu müssen, und hatten plötzlich leuchtende Augen als sie unser Schild sahen.
Teilweise führte die Aktion auch zu Missverständnissen – mit unserer „ANTI Shower Hour“ war natürlich nicht gemeint, dass wir gegen das Duschen an sich protestieren wollten 😀 die solidarischen Menschen vor der Tür hatten einiges damit zu tun zu erklären was wir meinen und warum das wichtig ist. Doch insgesamt wurde unser Anliegen sehr positiv aufgenommen, selbst von denen, die dadurch später wiederkommen mussten.
Und eine Sache die ich persönlich sehr schön fand; als die Dusche gerade mal leer war, bat uns ein cis-Mann, der sich aus anderen Gründen mit seinem Körper unwohl fühlte, ob er die Dusche kurz für sich haben konnte. Anders als wir kannte er keine anderen Menschen mit demselben Problem, und konnte sich nicht organisieren; das war ein schöner Nebeneffekt.
Es ist schwer auszudrücken was die Aktion mit uns gemacht hat. Ich kam mir schon ziemlich lächerlich dafür vor, mich nicht in eine Dusche zu trauen; einen Großteil meines Leben hätte ich damit niemals ein Problem gehabt. Und hier soll es jetzt daran scheitern? Erst als ich realisierte dass ich damit nicht alleine dastehe, verstand ich dass „einfach nur duschen zu wollen“ allen Menschen zusteht, und wenn ich dafür eine Sonderbehandlung brauche, weil ich trans bin, ist das okay.
Ein Beleg dafür, wieviel Kraft uns das ganze gegeben hat: zwei von uns, die sich vorher nicht einmal nackt in eine Dusche getraut haben, nahmen hinterher ein Foto davon auf, wie sie sich draußen im Regen duschen. Vorher undenkbar; aber sobald wir verstanden hatten dass wir und unsere Bedürfnisse einen Platz in dieser Welt haben, trauten wir uns so etwas plötzlich. So sieht Empowerment aus.
Nach der Aktion gingen wir auch zu einer Dusche in einer abgelegenen Turnhalle und labelten sie von einer „All Gender-Dusche“ in eine permanente TINA-Dusche um (diesmal vermieden wir den ANTI-Begriff^^). Eine Lösung für das Problem sind aber natürlich nur Einzelduschen. Das sieht man auch an dem endo-cis Mann mit body issues, der eigentlich so eine gebraucht hätte, und an trans Personen, für die es auch keine Option ist, mit anderen trans Personen zu duschen.