Content Note: Sozialisierung, gelesen werden, misgendern, indirekt transfeindliche Gewalt
„Das ist die FLINTA Toilette“ – „ich weiß“ sage ich und gehe einfach weiter – ein verdutzt schauender Mensch und genervte Stimmung bei mir – warum passiert immer die gleiche Scheiße? Wann lernt es die linke Szene endlich mal, dass Passing und Sozialisierung eines Menschen nicht von außen ablesbar sind?
„Aber Du bist doch … sozialisiert?“ „Warum bist Du in dem FLINTA-Raum? Du bist doch männlich gelesen.“
Ein neuer Trend scheint die Plena und linken Zentren im Sturm erobert zu haben. Auf einmal geben sich alle (naja zumindest sehr viele) in ihrer Sprache transfreundlich und divers und hören sich dabei noch so schön akademisch und gebildet an. Oder doch eher eingebildet?
Es gibt mittlerweile sehr viele verschiedene Arten, Menschen mittels (zugesprochener) geschlechtlicher und gender Begriffe zu beschreiben. Die wohl bekanntesten sind „gelesen“ und „sozialisiert“. In diesem Text möchte ich mich explizit dem Wort „sozialisiert“ widmen.
Sozialisierung – lol?!
Doch was bedeutet „sozialisiert“ denn vom Ursprung her? Der Begriff kommt aus der Sozialwissenschaft und referiert auf die in der Erziehung mitgegebenen Rollenbilder, Weltanschauungen, Normen, Werte und auch politischen Orientierung (wobei diese sich durch äußere Faktoren deutlich leichter beeinflussen lässt, als die anderen Faktoren, doch dazu gleich mehr). Wichtig ist auch noch zu erwähnen, dass es hier um das gesamte Umfeld in den Kindheits- und Jugendjahren geht und nur in kleinen Teilen um das Elternhaus. Auch ist umstritten, wann genau und ob überhaupt eine Sozialisierung endet. Ein weiterer sehr wichtiger Faktor ist die eigene Identität. Hier kommen Sachen wie Herkunft, Klassenzugehörigkeit, aber auch geschlechtliche Identität bzw. die Suche danach hinzu. Wenn also queere Menschen sich in der Jugend zu einem Label zugehörig fühlen – davor steht immer ein (sehr) langer Findungsprozess der teils schon in der frühsten Jugend mit 10 oder 11 beginnt – dann hat das massive Auswirkungen auf die Sozialisierung. Eine Sozialisierung ist also ein sehr komplexer Vorgang unter dem Einfluss vieler verschiedener Faktoren. Daraus lässt sich grundsätzlich der Schluss ziehen, dass die eine Sozialisierung nie mit einer anderen vergleichen lässt. Noch kritischer wird der Punkt, wenn es dazu führt, dass Menschen meinen über das vermeintlich gelesene Geschlecht anderen, jenen eine spezifische Sozialisierung zuschreiben zu müssen. Eine Transweibliche Person, die mit 12 versucht hat anzufangen sich irgendwie in das patriarchale Geschlechterbild einzuordnen, ist komplett anders sozialisiert als ein Cismann. Das Problem ist also klar: Menschen wird eine vermeintliche Sozialisierung zugeschrieben und so über sie geurteilt.
Ein weitere Faktor, warum es so schwer ist, z.B. patriarchale Rollenbilder aus den Köpfen der Menschen zu bekommen ist, dass Sozialisierung sehr unterbewusst wirkt. Es ist keine politische Einstellung die sich auch mal ändert, sondern sie steckt sehr tief in uns drin. Dies ist auch der Grund, weshalb wir sie nicht an der Tür zum linken Zentrum ablegen sondern sich Rollenbilder dort genauso Bahn brechen wie an der Lohnarbeit oder im Sportverein. Es bedarf also einer langwierigen und zeitintensiven Bildungsarbeit, um in den Köpfen der Menschen was zu ändern.
Eine Frage der Zugänglichkeit
„Sozialisiert“, ein Wort was alles bedeutet aber nichts sagt, oder genauer gesagt eigentlich eine Sache. Es ist eine vermeintlich transfreundliche Umschreibung für „eigentlich bist Du doch männlich/weiblich“ und wird genutzt, um Transmenschen aus Räumen und von Tätigkeiten auszuschließen. Transmännlichen/afab Personen wird mit der Aussage häufig klar versucht klar zu machen, dass sie „typisch männliche“ Tätigkeiten nicht ausführen können und transweiblichen/amab Personen werden Räume verschlossen weil sie ja einen „männlich sozialisiert“ Charakter hätten. Um zu verstehen wie es dazu kommt, lohnt es sich, Rollenbilder im Patriarchat genauer anzuschauen.
„Frauen“ sollen Care-Arbeit machen, aber bitte immer im Hintergrund bleiben und sind, wenn sie sich mal äußern, überemotionalisiert, etc. . „Männer“ wiederum müssen handwerklich begabt sein, dürfen sich keine Schwäche anmerken lassen und sollen sich immer in den Vordergrund stellen. Auch wenn diese Aussagen natürlich überspitzt sind und so (hoffentlich) von den wenigsten linken Menschen ausgesprochen würden, prägen sie unser Denken und so versuchen auch link(sradikal)e Menschen, ihre Gefährt:innen und Genoss:innen letztendlich, teils unterbewusst, in diese Schubladen einzuteilen. Hierbei zeigt sich eine klare Differenz zwischen cis- und trans-Genoss:innen. Wenn cis-Genoss:innen „alte“ Rollenbilder über Bord werfen, werden sie häufig gefeiert, auch wenn es irrational ist. Es ist immer unsolidarisch, wenn Menschen rummackern, egal wer. Genauso ist es falsch, männlich gelabelte Menschen ganz von praktischen Arbeiten auszuschließen. Vielmehr muss es darum gehen, sich beständig selbst zu hinterfragen und Fähigkeiten zu teilen.
Um als Trans-Personen überhaupt als das akzeptiert zu werden, was wir sind, müssen wir uns häufig enorm in die uns zugeschriebene Rolle einpassen. Wenn sich also z.B. eine trans-weibliche/amab Person nicht vollständig in den Hintergrund stellt und am besten immer die Klappe hält wird schnell der Vorwurf mackrig zu sein ausgepackt, z.B. mit der Formulierung „man merkt halt, dass Du männlich sozialisiert bist“. Auf der anderen Seite werden trans-männliche/afab Personen die z.B. emotional werden, genauso transfeindlich behandelt, eben mit der Aussage „Du bist halt weiblich sozialisiert“.
„Witzigerweise“ trägt diese ganze Zugeschreibe und „du bist doch so und so sozialisiert“ zu kuriosen Situationen bei. Trans-weibliche/amab Personen werden aus FINTA-Räumen ausgeschlossen mit der Begründung, sie währen ja männlich „sozialisiert“ und trans-männliche/afab Personen werden ausgeschlossen, weil sie durch ihre Transition ja männlich „sozialisiert“ worden sein sollen. (Ohne Scheiß, ist Menschen schon so passiert). Also wer auch immer uns diskriminieren will, weil wir nicht in eine Schublade der Zweigeschlechtlichkeit passen, einigt euch mal auf eine Sache!
Dieser Fall, so witzig er scheint, ist für trans-Personen aber bittere Realität. Uns werden so ganz offen, aber meist subtil, Zugänge zu Räumen und damit auch zur politischen Partizipation genommen. Und dies geht nicht nur queeren Menschen so, viele andere Minderheiten werden mit ähnlichen Mechanismen ausgeschlossen. Sei es der Bildungsgrad, die (vermeintliche) Herkunft, das Aussehen, eine Behinderung oder vieles mehr. Oder anders ausgedrückt, habt ihr euch auch schonmal gefragt, warum die linksradikale Szene so weiß, cis, privilegiert und ohne Behinderung ist? (Und natürlich gibt es viele positive Ausnahmen, aber was ich gerade aufgezeigt haben, ist leider die Erfahrung jahrelanger politischer Arbeit in linksradikalen Zusammenhängen)
Und was nun?
Um eines nochmal ganz klar zu sagen: Feminismus ist der Widerstand gegen das Patriarchat. Also wer sich selbst als feministisch bezeichnet, sollte nicht die Rollenbilder unserer Gesellschaft reproduzieren und sich transfeindlich verhalten.
Und um dies auch nochmal klarzustellen. Kritik ist berechtigt und enorm wichtig. Doch kritisiert das Verhalten eines Menschen egal ob cis, trans, nicht-binär oder inter. Wer ein:e Genoss:in aufgrund von unveränderlichen Eigenschaften wie des Geschlechts angreift verhält sich an diesem Punkt nicht besser als Konservative und Reaktionäre. Wenn ein Mensch eine Rededominanz hat, sagt es dem Menschen, aber reflektiert davor nochmal, ob es wirklich der Fall ist oder ob ihr nicht gerade bei einer Transfrau andere Maßstäbe ansetzt als bei einer Cisfrau, weil erstere ja „männlich sozialisiert“ sei.
Hinterfragt nicht Menschen in FINTA-Räumen. Sie sind für alle die sich unter den Begriff fassen und bieten allen: Frauen, Inter, Nicht-Binären, Transmenschen und Agender einen Schutzraum. Woher wollt ihr wissen, als was sich der „männlich“ gelesene Mensch identifiziert den ihr gerade anmaulen wollt. Vielleicht ist er ja nicht-binär oder ein Transmann. Es liegt nicht bei euch, der Person ein Label zuzuschreiben.
Ich verlasse die Toilette wieder, noch eine halbgare Entschuldigung à la „ich dachte halt Du bist …“ hinter mir hören – naja was solls, war nicht das erste und leider auch nicht das letzte Mal – der Abend wird aber nicht mehr wirklich toll
Reflektion: ich verwende die Beriffe „transweiblich“ oder „transmännlich“, um deutlich zu machen wie absurd Rollenstereotype in unserer Gesellschahft sind. Ich persönlich begreife die Begriffe als Spektren. Als Nicht-Binärer Mensch verstehe ich mich auf dem Spektrum „transweiblich“, ohne mich als „Frau“ zu sehen.
Im Prozess des Schreibens ist mir aber auch immer klarer geworden, dass sich viele Nicht-Binäre Genoss:innen komplett außerhalb des Spektrums „weiblich-männlich“ bewegen, aber genauso von der Art von Diskriminerung betroffen sind. Aus diesem Grund habe ich die Begriffe „afab“ (assigned female at birth) und „amab“ (assigned male as birth) eingefügt, da diese noch genauer beschreiben was ich meine. Mir ist klar, dass das ein Kompromiss ist, aber ich hoffe er ist für viele so akzeptabel.