Inhaltswarnung: Anorexie, Alkoholismus, Beurteilung von Körperformen, Nacktheit, Queerfeindlichkeit

Den Großteil meines Lebens hab ich mich in (oder heißt es mit?) meinem Körper nicht wohlgefühlt. Als Kind hatte ich größtenteils noch andere Sorgen, als Teenager*in dagegen war ich dann zu dürr, unsportlich und nicht „männlich“ genug.

Als ich gecheckt hab dass ich queer bin kam ich mit dem Aspekt gut klar – ich wollte nicht das sein, was ich unter „männlich“ verstand (damals: behaart, mit Bierbauch und / oder aufgepumpt im Gym). Dafür stand ich auf Twinks, und wollte – im Gegensatz zu den Männern um mich herum (die von Frauen erwarteten dass sie wie Models aussehen während für sie Wampe völlig okay war) – auch ein bisschen meinem eigenen Schönheitsideal entsprechen.

Was folgte war roundabout ein Jahrzehnt Magersucht. Etwa zeitgleich gesellte sich auch eine Alkoholabhängigkeit hinzu (i know, so viel Sucht…). Magersüchtig und alkoholkrank zu sein macht echt keinen Spaß, siehe Fressattacken und Kalorien im Alkohol. Also hab ich irgendwann resigniert was meinen „Wunschkörper“ angeht, überwunden hatte ich die Magersucht da nicht.

Als ich 2020 meine Alkoholsucht erfolgreich hinter mir ließ, wurde auch das Verhältnis zu meinem Körper bedeutend besser. Ich festgestellt, dass mein Stoffwechsel nüchtern ziemlich gut funktioniert und ich eigentlich mag wie ich mich fühle und wie ich aussehe. Ab 2020 sah ich also keinen Grund mehr meinen Körper zu verstecken, im Gegenteil.

Seit ein paar Jahren identifiziere ich mich als nichtbinär – mir ist aber klar, dass ich von den meisten Menschen, auf die ich treffe, männlich gelesen werde. Mensch könnte folgern, dass ich damit das gesamtgesellschaftlich akzeptierte Privileg genießen kann, oberkörperfrei rumzulaufen.

Das kann ich auch ohne rechtliche Sanktionen tun, sicher. Wenn ich mich nun ohne Shirt im öffentlichen Raum bewege, kann ich mir allerdings sicher sein dass zwei von drei Teenagergruppen mir irgendetwas hinterherrufen oder dumme Bemerkungen machen.

Ich fühl mich in meinem Körper wohl, für den unsicheren Durchschnittsteenager, der vor seinen Peers cool sein will, bin ich freilich trotzdem noch die zu beleidigende „dünne Schwuchtel“. Alleine auf der Wöhrder Wiese fühle ich mich also maximal halbwohl wenn ich mehr nackte Haut zeige als Tanktop. Sicher, ich versuche souverän zu sein, vielleicht auch mal trotzig, aber es bleibt immer ein Konflikt, mensch muss immer irgendwie gewappnet, stark sein.

In linken, queeren Kreisen ist es doch bestimmt besser mit der Body Positivity, oder? Nun ja… ich verstehe und teile grundsätzlich die Praxis in linken Räumen, dass Macker (und da schwer zu bestimmen ist wer genau Macker ist und wer nicht, männlich gelesene Menschen) ihre Shirts anbehalten sollen, solange weiblich gelesene Menschen ob der gesellschaftlichen Zwänge sich ihrer Shirts nicht entledigen dürfen. Es ergibt auch Sinn, auf Instagram männlich gelesene Nippel zu zensieren wenn die Plattform weiblich gelesene Nippel banned. No one’s free till all are free, oder?

Natürlich fühlen sich auch viele Menschen mit Nacktheit unwohl, und es gibt auch Solche, die Kleidungsfreiheit als Einladung zu sexuellen Übergriffen verstehen – die alte Hippie-Taktik „einfach alle ausziehen wer was dagegen hat ist ein bürgerlicher Hinterwäldler!“ sehe ich auch als gescheitert an. Dass die „T-Shirt Debatte“ gefühlt in linken Räumen häufiger & feuriger diskutiert wird als sagen wir mal der Begriff der Revolution oder wie wir Arbeiter*innen für Klimakämpfe gewinnen können, finde ich doch ein Bisschen weird.

Ich als mit >30 Jahren erstmals im Leben bodypositive, nichtbinäre Person finde es um ehrlich zu sein schade, dass eine der abwegigsten Handlungen die ich in meinem Umfeld tun könnte, das Ausziehen der Oberkörperbekleidung ist. Klar hier gibt’s mal Nacktkalender auf Waldbesetzungen, und auf Drag Events dürfen die Outfits auch mal knapp sein – aber Nippel zeigen außerhalb dieser doch recht seltenen und speziellen Gelegenheiten? Lieber nicht.

So also habe ich mich letzten Sommer tatsächlich alleine an einen FKK-See gewagt. Früher hätte ich das auf keinen Fall gemacht, und ich hatte auch das Vorurteil im Kopf dass da nur alte weiße Männer rumhängen, die tendenziell Bock auf sexuelle Belästigung haben.

Tatsächlich aber waren die Menschen hinsichtlich Alter, Körperform und der sexuellen Identität deutlich bunter gemischt als ich erwartet hätte, und ich wurde selten so wenig judgy angeglotzt, so wenig zum Objekt gemacht wie hier. In einem Setting, in dem sich alle darauf geeinigt haben, nackt die Sonne, den Wind und das Wasser genießen zu können, keine Schutzschicht zu tragen, macht es keinen Sinn andere zu bewerten.

Da ist es egal ob eine 60-Jährige Frau* Hängebrüste, ein 40-Jähriger Mann* Bierbauch, ein 25-Jähriger* definierten Waschbrettbauch hat oder eben ein 33-jähriges Enby bunte Haare, lackierte Nägel, komische Tattoos und aussieht wie ein alternder Twink.

Mr. Unsicherer Teenager hat so viele Komplexe, dass er sich keinesfalls vor einer großen Gruppe Unbekannter nackt zeigen würde – also hab ich schlicht & einfach noch keinen beleidigenden Macker in FKK-Kontexten gesehen.

Es ist schon weird, dass ich in der U-Bahn fast sicher sein kann, dass irgendwer mich abfällig anlabert ob ich jetzt „Mann oder Frau“ bin, und nackt am Badesee sein kann wer ich will. Und das liegt bestimmt nicht (nur) am sichtbaren Penis, die Frage ist ja seltenst ernst / „biologisch“ gemeint, sondern soll fast immer demütigen. Menschen, die nackt sind, wären ebenso verletzlich wie eins selbst, also teilen sie nicht aus.

Wichtig an Badeseen: Obst dabeihaben

Übrigens hat der FKK-Badestrand für mich noch einen anderen, klaren Vorteil: Ohne Kleidung braucht es keine Umkleidekabinen, die sonst am Strand oder in Schwimmbädern meiner Erfahrung nach oft die erste Manifestation des binären Dogmas sind.

Ich muss an dieser Stelle nochmal betonen, dass ich eben keine Dysphorie empfinde, mich keine Traumata plagen und ich mittlerweile ein gesundes Selbstbewusstsein habe. Auch glaube ich, dass mein Körper nun seltener als „zu dünn“ gesehen wird, somit falle ich rein körperlich schon in einen gewissen ästhetischen „Normal“bereich. Das sind klare Priviligien, die leider wenige meiner queeren Friends haben.

Ich verstehe, dass es nicht für alle Menschen heilsam wäre, sich nackt zu zeigen, den eigenen Körper preiszugeben. Für mich allerdings ist Freikörperkultur ein Weg der Heilung und der Befreiung.

Die Normalgesellschaft reagiert auf mich mit Gewalt, trage ich einen Rock, ein bauchfreies Oberteil oder wie gesagt kein Oberteil so habe ich mindestens verbale Gewalt zu erwarten. Eyeliner, Nagellack, alles gibt Grund zur Attacke. Die Gesellschaft will nicht dass ich mich, dass wir Queers uns zeigen, nicht dass wir sichtbar sind, erst recht nicht als körperliche Wesen.

Für mich ist es ein enorm empowernder Akt, mich, meinen nackten Körper, die Sonne auf sonst verdeckter Haut, inmitten lauter anderer Leute, die wahrscheinlich im Alltag weniger Gewalt aufgrund ihres Körpers zu erfahren haben, zu genießen. Vielleicht geht es dir da ganz anders, aber vielleicht hast auch Du den Frieden mit deinem Körper geschlossen, den die Gesellschaft dir verwehrt.