Gegen die patriarchalen Normen von Geschlecht und Begehren.
Der Text geht der Frage nach, wie die Identitäten „nicht-binär“ und „lesbisch“ zusammengehen. Er ist geschrieben aus der Perspektive einer nicht-binären lesbischen Person.
Hinweis zum Inhalt: Im Text werden Transmisogynie und Transexklusivität (auch) in queeren
spaces sowie TERF-Ideologie beschrieben.
Wie viele queere Menschen habe ich einige Jahre und mehrere Outings gebraucht, um näher daran zu kommen, wer ich bin und wie ich begehre. Vor meiner Familie habe ich vor drei Jahren, als ich meine erste richtige Freundin kennenlernte, das Outing als lesbisch vorgezogen und das Thema Name und Pronomen, obwohl diese für mich eigentlich zuerst gekommen und in meinem Freund*innenkreis schon durchgesetzt waren, erst einmal vorweg gelassen, um es so unkompliziert wie möglich zu machen. Denn im Mainstream-Verständnis hat sexuelle Orientierung nicht nur das Geschlecht des Gegenübers als Fixpunkt, sondern auch das eigene. Zu erklären, dass ich lesbisch, aber „trotzdem“ keine Frau bin, schien schlicht zu kompliziert zu einer Zeit, in der ich voll damit beschäftigt war, die Träume meiner Familie nach mir in einer Hetero-Beziehung, irgendwann Enkelkindern und Norm-Familienleben platzen zu lassen.
Die Frage, wie sich meine nicht-binäre Geschlechtsidentität und mein lesbisches Begehren vertragen, beschäftigte mich aber auch selbst. Ich erlebe immer wieder, wie in lesbischen (und auch schwulen) Kontexten cis-normative oder sogar transexklusive Normen oder (Raum-) Politiken vorherrschen, es z.B. wenig Sensibilität und Verständnis für trans-Identitäten gibt, Personen misgendert, nicht-binäre und auch binäre trans Personen nicht mitgemeint, ernst genommen oder gewollt werden. Das trifft in lesbischen und Frauen-Kontexten insbesondere transfeminine Personen (Transmisogynie). Aber auch nicht-binäre AFAB- und transmaskuline Personen werden in solchen Kontexten oft unter der Prämisse eingeschlossen, dass sie ja „eigentlich“ Frauen seien.
Insofern ist sehr nachvollziehbar, dass lesbische Identität oder lesbische Räume für Personen, die keine cis-Frauen sind, sich zwangvoll anfühlen kann – für transfeminine Personen z.B. durch Erfahrungen von gatekeeping und Druck nach „gutem“ passing, und für transmaskuline Personen in Form von Misgendern.
Für mich ist lesbische Identität aber etwas Schönes und Wichtiges und nicht per se im Widerspruch zu meinem Geschlecht. Ein Label für mein Begehren zu verwenden, das nicht zwangsläufig an mein Geschlecht gebunden ist, wie z.B. „queer“ oder „pansexuell“, in dem aber mein Lesbisch-Sein unsichtbar wird, fände ich schade und auch potentiell irreleitend, da ich cis-Männer nicht daten würde.
Die Kategorien trans und lesbisch/schwul sind, so erleben viele von uns in unseren Biografien, auch eng miteinander verknüpft. So viele meiner transmaskulinen Freund*innen haben vor dem TransOuting als Lesben gelebt. By the way: Überproportional viele von ihnen sind heute schwul, weshalb ich es nicht von der Hand zu weisen finde, dass homo sein eine mindestens genauso zu berücksichtigende Achse ist wie Geschlecht und nicht selten über verschiedene Phasen von Geschlechtsidentität und -präsentation einer Person erhalten bleibt.
Nicht zuletzt sind auch die Diskriminierungserfahrungen in Bezug auf Geschlecht und Begehren eng miteinander verwoben: Viele transmaskuline Personen wurden oder werden als Lesben gelesen und auch so diskriminiert; ähnlich mischen sich in der Diskriminierung und Gewalt, die transfeminine Leute erleben, häufig Transmisogynie mit Queer- und Schwulenfeindlichkeit.
Natürlich ist von der (diskriminierenden) Außenperspektive nicht auf die Identität einer Person zu schließen, aber: Viele Queers machen (no pun intended) homogenisierende (Diskriminierungs-) Erfahrungen und solche, in denen sich geschlechtliche und sexuelle Identität bzw. Zuschreibungen davon mischen.
Warum aber selbst an lesbischer Identität festhalten? Und woran ist diese dann gebunden, wenn nicht an Geschlecht? Für mich bedeutet lesbische Identität eine Art des In-Beziehung-Gehens, aber auch geteilte Popkultur, Codes, Community, eine Bezugnahme auf lesbische Geschichte_n, in die ich mich einordne. Beim Blick in eben diese Geschichte wird schnell klar: Hier gab es schon immer Platz für vielfältige Präsentationen und Performances von Geschlecht, die nicht limitiert auf cisWeiblichkeit(en) waren. Im Gegenteil: „Lesbe“ war lange das – selbstgewählte oder (später) fremdzugeschriebene – Label für ein Sammelbecken verschiedenst positionierter Personen, die weiblich zugeschrieben waren, sich aber nicht gender-konform gekleidet, gelebt oder Beziehungen (nicht) geführt haben. Allein im klassischen lesbischen Begehrensnarrativ butch bzw. stud und femme stecken verschiedene, oft geradezu dichotom aufgebaute Geschlechterperformances. Lesbische Narrative und Identitäten bieten also viel Platz für verschiedene Positioniertheiten – auch und gerade für Interpretationen, Karikaturen und Aneignungen von Männlichkeit_en, die zum Beispiel als „female masculinities“ bekannt sind. Nicht zuletzt sind es historische Tendenzen, entlang derer Leute sich eben die Labels und Räume genommen haben, die ihnen zu ihrer Zeit (einfach) verfügbar und mit Zugängen zu Gemeinschaft verbunden waren.
„feminism is the theory, lesbianism is the practice“
Eine hilfreiche Analyse über das Verhältnis von Geschlecht und Begehren ist die der – nicht umsonst so benannten – FrauenLesbenbewegung der 1970er und 80er Jahre in Deutschland. In ihrer feministischen Analyse wurde Frausein maßgeblich über das Begehrtwerden und Begehren von (cis-) Männern definiert – eine Person, die sich der heterosexuellen Matrix entzieht, wird also nicht in gleicher Weise frauisiert. Lesben wurden also als eigenes Geschlecht beschrieben, dass sich von Frauen unterschied.
All dies zeigt: Die Vorstellung von Lesben als „women-loving women“ (so eine Formulierung der letzten Jahre vor allem in Social Media) ist verkürzt und eine moderne Umschreibung einer viel queereren, diverseren Geschichte des Begriffs.
Während zur Zeit der FrauenLesbenbewegung die Bezeichnung „Bewegungslesbe“ (einer Person, die „nur“ aus politischen Gründen lesbisch lebt) eher als Beleidigung verwendet wurde, finde ich den Impuls darin empowernd: Dass Queerness eben nicht zwangsläufig und nur existiert, weil wir, ob wir wollen oder nicht, „born this way“ wären, sondern dass jede*r Entscheidungsmacht über die eigene Sexualität und Beziehungsweisen hat, das heißt auch: frei darin ist, aus dem patriarchalen Blick herauszutreten. In dieser Ablehnung patriarchaler Normen sehe ich, gerade für frauisierte Personen, eine kraftvolle emanzipatorische Praxis, die sich in nicht-binär lesbischer Identität doppelt: Die Zurückweisung von Normen in Bezug auf Geschlecht als auch Begehren. Im Patriarchat, dessen Macht gerade auf dem wackligen Fundament zugeschriebener Rollenbilder fußt, lasst uns die Labels zu unseren Zwecken umformen und gegen das System der Unterdrückung selbst wenden!
Dann aber gibt es TERFs, also transexklusive radikale „FeministInnen“, die Angst vor der Inflationierung und Unterwanderung von Kategorien wie „Frau“ oder „Lesbe“ schüren. Dazu kann ich nur sagen: Geschlechtervielfalt jenseits der hetero-normierten Zweigeschlechtlichkeit hat es schon immer und überall gegeben – wir leben heute in einer Geschlechter-Dystopie, in der so viel davon ausradiert, unsichtbar gemacht und (looking at you, TSG) reglementiert wurde, und binäre, patriarchale Geschlechterrollen aktuell durch die Neue Rechte eine Renaissance erleben. Es wird Angst geschürt vor männlich kodierten und rassifizierten Angstbildern, die am Ende das Fundament des Patriarchats – biologisierte, essentialisierte und weiße Vorstellungen von „Geschlecht“ – untermauern.
Ich weiß: Mein Begehren ist nicht biologisch, nicht geknüpft an eine bestimmte Körperlichkeit oder (vermeintliche) geschlechtliche Sozialisation. Ich begehre Freiheit und Beziehungen, in denen meine Freiheit und die meines*r Gegenübers zum Tragen kommt. TERFs und andere FeindInnen der Vielfalt und Autonomie scheinen uns die Freiheit und Uneindeutigkeit zu neiden, die wir uns herausnehmen. Auch viele cis-Feminist*innen scheinen eine Angst vor „Männlichkeit(en)“ in sich zu tragen, die auch eine der Wurzeln der TERF-Ideologie ist. Dabei sind wohl die wenigsten Menschen wirklich cis und alle würden gut daran tun, ihre eigene queerness (weiter) zu erforschen.
Lasst uns in dieser Welt, die Nicht-Konformität bestraft und mit Gewalt überzieht, sichere(re) Räume für Nicht-Konformität schaffen. Lasst uns Männlichkeit_en transformieren und uns
aneignen – dabei gibt es von Butches, Studs, Drag Kings, trans und queeren Männern und Co. viel zu lernen. Lasst uns trans Personen eine Vielfalt an Expressionen ihres Geschlechts abseits von Norm-Weiblichkeit oder -Männlichkeit ermöglichen, ohne dass sie um ihre Sicherheit und die Akzeptanz ihrer Identität fürchten müssen. Lasst uns verstehen, dass lesbische und schwule Kämpfe mit trans Kämpfen verbunden sind, dass es keine queere Befreiung ohne einander gibt, dass unsere Freiheit mit der Freiheit aller Anderen verbunden ist. Lasst uns die Stimme gegen respectability politics erheben und nicht unsere Geschwister in anderen Kämpfen für ein Stück des Kuchens zurücklassen. Die Befreiung ist das Ziel – und ohne Solidarität und auch ein bisschen Widersinn ist die nicht zu haben.
At the end of the day, [non-binary and lesbian] are just terms.
They are linguistic tools to describe an experience that already exists.
So someone telling me I can’t be a non-binary lesbian doesn’t mean anything because I already am one.
And I’m just using the language that I have available to me to describe that.“ (Quelle)